Viele Krankenhäuser stehen vor der Herausforderung, ihre Prozesse besser verstehen und gezielt optimieren – sei es zur Qualitätsverbesserung, Kostensenkung oder zur Bewältigung des Personalmangels. Doch oft ist unklar, wie die Prozesse tatsächlich ablaufen. Zwischen Leitlinien, hausinternen Ablaufschemata und gelebter Realität klafft häufig eine Lücke.
Genau hier setzt Process Mining an: Es ist eine datenbasierte Analysemethode, die digitale Spuren aus IT-Systemen nutzt, um reale Abläufe sichtbar zu machen – objektiv, messbar und über Abteilungsgrenzen hinweg.
Für Krankenhäuser bietet Process Mining erstmals die Möglichkeit, Behandlungs- und Verwaltungsprozesse so zu analysieren, wie sie wirklich stattfinden – nicht nur, wie man glaubt, dass sie stattfinden sollten.
Im Alltag eines Krankenhauses entstehen bei jeder Interaktion digitale Fußabdrücke: Die Aufnahme eines Patienten, die Durchführung einer Untersuchung, das Schreiben eines Arztbriefs, die Medikamentenvergabe – all diese Schritte hinterlassen Zeitstempel in Krankenhausinformationssystemen (KIS), Labor- oder Abrechnungssystemen.
Process Mining nutzt diese Zeit- und Aktivitätsdaten, um daraus reale Prozesspfade zu rekonstruieren. Das Ergebnis ist eine visuelle Darstellung der tatsächlichen Abläufe – oft mit überraschenden Erkenntnissen:
Wo weichen Abläufe vom vorgesehenen Pfad ab?
Wo kommt es zu Verzögerungen, Rückschritten oder unnötigen Schleifen?
Welche Varianten treten besonders häufig auf – und welche besonders selten?
Gibt es systematische Engpässe, z. B. bei Diagnostik oder Entlassmanagement?
Durch diese Visualisierung entstehen keine hypothetischen Modelle, sondern ein faktenbasiertes Bild der Realität. So wird sichtbar, was sonst verborgen bleibt.
Der Einsatz von Process Mining im Gesundheitswesen steckt zwar vielerorts noch in den Anfängen, aber es gibt bereits erfolgreiche Anwendungsfelder – mit greifbarem Nutzen.
Ein typisches Beispiel ist das Entlassmanagement: Mithilfe von Process Mining lassen sich zeitliche Verzögerungen zwischen der ärztlichen Entscheidung zur Entlassung und dem tatsächlichen Verlassen des Krankenhauses aufdecken. Dabei wird häufig sichtbar, dass Transport, Dokumentation oder Pflegekoordination den Prozess unnötig verzögern – obwohl auf dem Papier alles klar geregelt ist.
Auch bei präoperativen Vorbereitungsprozessen kann Process Mining aufdecken, welche Fälle nicht planmäßig vorbereitet wurden, wo Diagnostik verzögert wird oder ob Patienten mehrfach zwischen Stationen wechseln – was aus Patientensicht wie aus Sicht der Versorgungsqualität problematisch ist.
Nicht zuletzt lässt sich Process Mining auch in der Verwaltung einsetzen: etwa zur Analyse von Abrechnungsprozessen, Fallaktenverwaltung oder Materiallogistik. Dadurch werden auch administrative Engpässe sichtbar – die ebenso entscheidend für einen reibungslosen Klinikbetrieb sind.
Klassische Prozessanalysen basieren oft auf Interviews, Workshops oder manuellen Ablaufdiagrammen. Diese Methoden sind wichtig – aber sie erfassen häufig nur subjektive Eindrücke oder Idealabläufe. Process Mining ergänzt diese Perspektive mit objektiven, vollständigen Daten.
Der große Vorteil: Es wird nicht nur der „Standardweg“ sichtbar, sondern alle Varianten eines Prozesses – inklusive der seltenen und fehleranfälligen. Dabei können Tausende Fälle gleichzeitig analysiert werden, wodurch auch statistisch robuste Aussagen möglich sind.
Hinzu kommt, dass Process Mining ein Werkzeug der kontinuierlichen Verbesserung ist: Es kann nicht nur einmalig, sondern dauerhaft eingesetzt werden – z. B. als Monitoring-Instrument für Prozessveränderungen. So lässt sich auch überprüfen, ob eine Optimierungsmaßnahme tatsächlich Wirkung zeigt oder neue Probleme entstehen.
Trotz aller Potenziale ist der Einsatz von Process Mining kein Selbstläufer. Er setzt eine gewisse Datenqualität und Systemintegration voraus. Nicht alle Krankenhäuser erfassen bislang ihre Prozesse in ausreichender Detailtiefe oder haben Zugriff auf gut strukturierte Event-Daten.
Zudem braucht es methodische Kompetenz in der Auswertung – und ein Zusammenspiel von IT, Fachbereichen und Prozessverantwortlichen. Wichtig ist auch: Process Mining liefert keine fertigen Lösungen, sondern fundierte Entscheidungsgrundlagen. Die Interpretation und Umsetzung der Ergebnisse muss weiterhin durch Menschen erfolgen – idealerweise im Rahmen eines etablierten Prozessmanagements.